(E. J. Diemer in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre?)
Wenige Wochen nach Ende des Weltmeisterschaftskampfes 1935 (Aljechin - Euwe
- Anm. d. A.) besuchte ich als Reporter zum erstenmal ein ausländisches Schachturnier,
das unvergessene große Turnier in Zürich. Dort wurde ich von dem Präsidenten der
Züricher Schachgesellschaft, dem berühmten Kunstmaler Fritz Widmann, mit seinem langen
weißen Bart, empfangen.
Er begrüßte mich mit den Worten: "Sie haben eine unwahrscheinliche Ähnlichkeit
mit meinem Freund Hermann Hesse" (dem großen Dichter des Glasperlenspiels).
Ich befinde mich seit ca. 20 Jahren in einem Heim, in das seit etwa 10 Jahren jeden Freitag ein
Arzt kommt.
Als er mich zum ersten Mal sah, meinte er, ich sei am verhungern und fragte mich: "Wissen Sie,
daß Sie eine starke Ähnlichkeit mit einem ganz großen Dichter haben?" Ich
mußte herzlich lachen und sagte ihm, daß mir der Freund eben dieses Dichters bereits
1935 in Zürich das Gleiche sagte.
Zahllose Schachfreunde kennen mich, daß ich ebenso groß wie hager bin, und ich natürlich
auch dadurch in den Verdacht kam, krank zu sein. Aber in Wirklichkeit bin ich kerngesund, was
mehrfach von Ärzten festgestellt wurde.
Ich habe eine sehr starke Kondition und habe es immer wieder fertiggebracht, stundenlange Vorträge
zu halten, wenn mir nicht gerade meine Augen, praktisch mein einziger Mangel, einen Streich
spielten.
Bis heute nehme ich an Turnieren teil. Viele meiner Anhänger haben sich gewundert, wie ich
mit 77 Jahren noch Schach spiele und sie meinten, ich sollte eigentlich aufhören, und die
Ursache meiner Niederlagen wäre mein hohes Alter.
Daß dem nicht so ist, habe ich zwingend beim Schachturnier in Biel im vorigen Jahr 1984 unter
Beweis gestellt: Ich habe in der vorletzten Runde 7 1/2 Stunden erfolgreich eines meiner BDG's
zum Siege geführt, gegen härtesten Widerstand.
Ich spielte unter den 500 Teilnehmern die letzte Partie über 8 1/2 Stunden bis weit nach
Mitternacht. Es war die letzte Partie des Turniers. Ich hatte den Ehrgeiz, unter keinen
Umständen diese Partie zu verlieren. Ich hatte in einem Turmendspiel einen Randbauern weniger.
Mein König saß im entgegengesetzten Eck. Dann kam der Gegner mit seinem Turm auf die
7. Reihe - doch konnte ich den Turm abtauschen und dadurch ein Patt herbeiführen.
Dabei hielt ich am Vorabend einen Vortrag von 4 Stunden über das Thema der Schachblindheit
und andere Geheimnisse.
Um Mitternacht wurde uns das Licht vom Hausmeister abgedreht, sonst hätte es passieren
können, daß es die ganze Nacht durchging.
Am nächsten Tag "rächte" ich mich an dem Hausmeister mit meiner Hängepartie,
denn der Hausmeister mußte ja bis zur Beendigung der letzten Runde ausharren.
E. J. Diemer
(Orthographie- und Grammatikfehler korrigiert, Stilistik und Formatierung
entsprechen der Quelle. - Anm. d. A.)
Ergänzung d. A.:
Die Stilistik dieses und der nachfolgenden Beiträge erweckt den Eindruck, als sei Diemer
interviewt, die Interviews mit Tonband aufgezeichnet und unbearbeitet wiedergegeben worden...