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Der WM-Kampf Euwe - Aljechin

... und Interna aus Aljechins Leben

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Der WM-Kampf 1935 war eine schwere Niederlage für Aljechin.

Die Entscheidung fiel erst in der letzten Runde. Euwe bot Aljechin in total verlorener Stellung Remis an, nach dessen Annahme Euwe Weltmeister war.
Damit ging ein Drama sondergleichen zu Ende. Warum verlor Aljechin? Er war immer wieder betrunken, und in der entscheidenden letzten Partie kam es zu einem einmaligen Skandal. Dazu möchte ich sagen, daß Presse und Radio bis zum letzten Tag des Turniers geschwiegen haben. Die Veranstalter hatten Aljechin in einem exklusiven Hotel untergebracht. Wir wußten alle, daß Aljechin den Besitzer des gegenüberliegenden Hotels buchstäblich sanierte. Er konsumierte in diesen 6 Wochen für zirka 800 Gulden das schärfste Getränk: Genever.

Die vorletzte Partie wurde gespielt in Ermelo, ganz im Süden von Holland an der belgischen Grenze. Es wäre niemals zum Skandal gekommen, wenn nicht in Ermelo die zentrale Trinkerheilanstalt gewesen wäre!
Das Unheil begann damit, daß sich der Chauffeur, der Aljechin von Amsterdam nach Ermelo brachte, verfahren hatte und zu viel Zeit verbrauchte. Aljechin kam bereits stark angetrunken nach Ermelo. Am nächsten Tag wußte ganz Holland über diese schreckliche Geschichte Bescheid. Der Damm war gebrochen und jede Zeitung und das Radio berichteten über diese schrecklichen Vorkommnisse. Es geschah nahezu unter Ausschluß der Schach-Öffentlichkeit, denn wir Journalisten hatten uns, um Kosten zu sparen, auf Rat von Tartakower entschlossen, in Amsterdam zu bleiben und die Partien in der Redaktion des Telegraaph per Telefon übermitteln zu lassen.

[Euwe - Aljechin 1936]
(Euwe - Aljechin 1936)

Es wurde bekannt, daß Euwe ununterbrochen das Zimmer verlassen mußte, weil er ganz einfach nicht mehr den Alkoholgeruch ertragen konnte.
Es geschah noch Schlimmeres. Aljechin warf ständig die Figuren vom Tisch, so zitterte er an Händen und Füßen.
Der Eindruck in der holländischen Öffentlichkeit war niederschmetternd. Es wurde ihm mit Ermordung gedroht, wenn er etwa die letzte Partie gewinnen sollte. Euwe schlug vor, die letzte Partie im Ausland zu spielen. Die Organisatoren taten das einzig Richtige, eine achttägige Pause einzulegen, um die Gemüter zu beruhigen, was auch glückte.

Für die letzte Partie wurde der größte Saal in Amsterdam gemietet. 5.000 Menschen konnten die Partie verfolgen. Der Saal mußte polizeilich geschlossen werden. Es gibt ein berühmtes Bild: Vor diesem großen Saal steht ein Polizist, der den Eintritt verwehrt, über sich einen Regenschirm, ausnahmsweise schneite es. Zudem hat er ein Steckschach in der Hand, um die Partie zu verfolgen.
Aljechin kam im Frack. Als Gentleman hat er die bitterste Stunde seines Lebens erlebt.

Am nächsten Tag besuchte ich Euwe in seiner Wohnung, um ihm persönlich zungratulieren. Gleichzeitig mit mir kam eine Delegation der Amsterdamer Bäckerinnung und brachte ihm eine große Weltmeistertorte. Frau Euwe gab mir das erste Stück davon, so eng befreundet war ich mit der Familie Euwe.

Nach dieser eklatanten Niederlage brachte es der große Mensch Aljechin fertig, den größten Sieg seiner Laufbahn zu erringen, nämlich den Sieg über sich selbst!
Nach den Exzessen brachte er die ungeheure Willenskraft auf, sich den Alkohol total abzugewöhnen, und niemals mehr ist er rückfällig geworden!
1936 fand die erste große Begegnung zwischen Keres und Aljechin in Bad Nauheim statt. Bei Abbruch dieser Partie hatte Keres eine Qualität mehr. Daß diese Partie am anderen Tag kampflos remis gegeben wurde, konnte ich nicht vorausahnen, sodaß ich meinen Bericht "Die Jugend siegt über das Alter" an die Presse gab. Als die Bescherung zu Tage trat, sagte der Schiedsrichter: "Um Gottes Willen, was haben Sie angestellt?!"

[Aljechin-Karrikatur]
Aljechin-Karrikatur


Aljechin bekam im Pressezimmer einen Wutanfall, als er meinen Bericht sah, und drohte sogar mit dem Abbruch des Turniers. Aber mir gegenüber hat er darüber nie ein Wort verloren. So außerordentlich hat er mich damals schon geschätzt und bewundert.
Am Ende des gleichen Jahres spielte ich zum dritten Mal in Hastings. Ich war 1934/35 und 1935/36 schon dort. Als ich zum erstenmal nach Hastings kam, war ich eingeladen, hatte also freien Aufenthalt in einem Hotel, wo mit mir gleichzeitig der spätere Schachweltmeister Botwinnik untergebracht war; mit seinem Begleiter, dem Generalsekretär des sowjetischen

Schachverbandes, Weinstein, der mir dadurch bereits bekannt war, als er bei dem Turnier in Mannheim 1914 als Reporter dabei war und mit den ausländischen Teilnehmern interniert wurde.

Übrigens ist an dieser Stelle zu erwähnen, daß sowohl Aljechin als auch Bogoljubov große russische Patrioten waren, was aus zwei Erlebnissen hervorgeht. Aljechin wurde auf Ehrenwort entlassen, sich nur als Sanitäter zu betätigen. Aber als großer Patriot und tapferer Offizier hat er den Krieg an der Front mitgemachht. Bogoljubov war ebenfalls ein großer Patriot, das ergibt sich zweifellos aus einer Unterhaltung, als ich von ihm erfahren wollte, welches der Unterschied zwischen der ukrainischen und großrussischen Sprache sei. Er erklärte mir den Unterschied auf sehr spaßige und ernst-eindringliche Weise: "Die einen sagen Wurst, die anderen Worscht!"...


E. J. Diemer


(Orthographie angepaßt, Stilistik und Formatierung entsprechen der Quelle, Bilder beigefügt - Anm. d. A.)

Ergänzung d. A.:
Großmeister Salo (Salomon Michailowich) Flohr, nicht nur Zeitgenosse, sondern auch Freund Aljechins, äußerte sich zu Aljechins vorgeblichen Alkoholproblemen gegenteilig, bestritt vielmehr ausdrücklich, daß Aljechin im WM-Kampf gegen Euwe jemals betrunken war...


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