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Alle Rechte vorbehalten. Rev. 1.0 - 28.10.2001 EMIL JOSEPH DIEMEREine Kurzbiographie von GM Hans Ree
Wer der Ansicht ist, daß Schachspieler närrisch sind, wird durch das Studium des Lebens von Emil
Josef Diemer nicht auf andere Gedanken kommen.
1931 war Diemer arbeitslos. Er hatte einen Job bei einem Verlag gehabt, aber er war nicht geeignet für eine Stelle. Er wurde Mitglied bei der NSDAP, wonach ihn sein Vater noch am selben Tag aus dem Haus warf. Für sich selbst sorgen konnte Diemer nie gut, aber als Nazi ging es doch etwas bequemer. Nicht daß er aus Opportunismus Mitglied der Partei geworden wäre. Er war ein Fanatiker, in allem, was er tat. Ein heftiger Propagandist zu der Zeit, die die Nazis so romantisch die "Kampfzeit" nannten, die Jahre vor der Machtübernahme. Durch seine neuen Freunde konnte Diemer Berufsschachspieler werden. Er wurde der "Schachreporter des Großdeutschen Reichs", war bei allen großen internationalen Schachereignissen anwesend und sang in den Naziblättern das Lob des Kampfschachs. Viel Geld verdiente er nicht damit, obendrein war er abhängig von begüterten Bewunderern, die ihm hin und wieder etwas zusteckten. Nach dem Krieg wird es mühsamer. Diemer schreibt für eine Anzahl Zeitschriften, verkauft Schachbücher, gibt Simultanvorstellungen, aber er leidet Hunger. Er war einfach nicht stark genug, um ein Berufsschachspieler zu sein. Und 1953 verlor er einen wesentlichen Teil seiner Einkünfte, indem er aus dem Deutschen Schachbund ausgeschlossen wird. Diemer hatte Funktionäre des Bundes in einer rabiaten Pressekampagne der Homosexualität und des Verderbens der Jugend beschuldigt. Homosexualität war ein großes Übel für Diemer, der nach eigenem Bekunden in seinem Leben nie eine Frau körperlich geliebt hat. Rauchen und Trinken tat er auch nicht, er spielte Schach. Er hatte keinen Erfolg, aber er hatte Anhänger, die leidenschaftlich über die Vorzüge des Blackmar-Diemer-Gambits polemisierten, 1. d4 d5 2. e4 dxe4 3. Sc3 Sf6 4. f3. Ein Jahr lang, von 1955 bis 1956, gab Diemer eine eigene Zeitschrift heraus, Die Blackmar-Gemeinde [2], die aufgegeben werden muß, als die Gläubiger ungeduldig werden. Er bombardierte jeden, der in der Schachwelt etwas vorstellte, mit Briefen mit Analysen über sein Gambit. Er fand Gehör, auch in den Niederlanden, wo der Amsterdamer Verlag Ten Have Diemers einziges Buch herausbrachte, Vom ersten Zug an auf Matt! [3]. In den Niederlanden erzielte Diemer 1956 endlich zwei hübsche Erfolge. Er gewann die Reservegruppe des Hochofen-Turniers und später die Offene Meisterschaft der Niederlande. Im selben Jahr wurde er in der Meisterschaft der Schweiz (er war Mitglied eines Schweizer Klubs geworden) geteilter Zweiter. Erfolge, die sich nicht wiederholen sollten. Nach einem schlecht verlaufenen Turnier in England entdeckte Diemer in einer deutschen Frauenzeitschrift die Ursache seines Scheiterns. Es lag am Biorhythmus. Danach bombardierte er seine Schachfreunde mit biorhythmischen Berechnungen und Graphiken. Und er entdeckte Nostradamus, den französischen Seher. In einer Zeitspanne von 25 Jahren verschickte er rund 10.000 Nostradamus-Briefe. Nicht nachvollziehbare Berechnungen standen darin. Er hatte mit einem einfachen System, a = 1, b = 2 usw. den Code des großen Sehers gefunden. Selbst wohlmeinende Freunde fanden es befremdend, daß der Code nun gerade in der deutschen Übersetzung verborgen stecken sollte, statt in dem ursprünglichen französischen Text. Nostradamus begann sein Leben zu beherrschen, mehr noch als das Schach. Er hielt Vorübergehende auf der Straße an. Er störte ein Begräbnis durch lautes Rufen: "Hier wird ein Lebender begraben!" Er jammerte, daß der Rhein austrocknen werde und daß Atombomben auf Heidelberg fallen würden. Behörden fürchteten das Klingeln des Telefons, denn oft war es Diemer, der eine Apokalypse voraussah. 1965 wurde er in eine psychiatrische Klinik aufgenommen. Der Direktor kam zum Schluß, daß das Schachspiel Diemers Nerven zuviel belastet hatte, und verbot ihm das Spielen. Ein Wunder geschieht sechs Jahre später. Ein junger Bewunderer weiß es 1971 zu bewerkstelligen, daß sowohl das Schachverbot des Klinikleiters als auch der Ausschluß von 1953 aufgehoben werden, daß Diemer wieder Mitglied in einem Verein werden kann und daß das erste Brett für ihn frei ist. Diemer kriegt das neue Gebiß, das ihm schon 1952 durch einen reichen Bewunderer versprochen war. Er spielte wieder Schach und sein Brett war allzeit umringt von Jüngern, die von seinem Angriffsspiel entzückt waren. Er war weniger stark als früher, aber das plagte ihn nicht. Er werde wohl noch einer der stärksten Spieler der Welt werden, sagte er, aber wichtiger für ihn war der Nobelpreis, den er für seine Nostradamus-Verkündigung erwartete. Im Jahr 1990 starb er. Die letzten fünf Jahre hatte er nicht mehr Schach gespielt, er konnte es nicht mehr. In Fußbach, wo sein Pflegeheim war, sahen die Dorfbewohner ihn durch die Straßen schlurfen, lang und spindeldürr, mit Prophetenbart und halb blind, und sie hatten Respekt vor Diemer, denn gerüchteweise hatten sie vernommen, er sei früher ein großer Schachspieler gewesen, vielleicht gar der größte Schachspieler, der je gelebt hatte. Das war er sicher nicht, aber ein besonderer Schachspieler in seiner krassen Einseitigkeit war er ja doch. Sehen Sie seine letzte Turnierpartie (Diemer-Heiling - Anm. d. A.) von 1984, und staunen Sie. Hans Ree - bearbeitet von Stefan Bücker [1] Georg Studier: "Emil Joseph Diemer. Ein Leben für das Schach im Spiegel seiner Zeit", Dresden, 1996 [2] E. J. Diemer: "Die Blackmar-Gemeinde", Eigenverlag, 1955/56 [3] E. J. Diemer: "Vom ersten Zug an auf Matt!", Eigenverlag, 1956, später neu aufgelegt als "Das moderne Blackmar-Diemer-Gambit", Bd. I, Verlag Rudi Schmaus, Heidelberg, 1976 (bis heute vier Auflagen) (Stilistik der Quelle belassen, Karikatur beigefügt - Anm. d. A.) Ergänzungen d. A.:
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