Die Frage bedarf einer Ergänzung dahingehend, ob das Blackmar-Diemer-Gambit (BDG) durch
neueste Erkenntnisse widerlegt oder im Zeitalter der Schachprogramme überhaupt noch spielbar
ist. Bei diesen "Monstern" sollte der Gambitgeber z.B. im Fernschach eigentlich auf
unüberwindbaren Widerstand stoßen - auch wenn er selbst sich dieser Programme, die heute
ein großmeisterliches Leistungsvermögen besitzen, bedient. Wir werden im weiteren Verlauf
darauf zurückkommen.
E.J. Diemer setzte sich in seiner unnachahmlichen Art für den Nachweis der Spielbarkeit des
BDG ein und überzog natürlich, wenn er optimistisch verkündete: "Spiele BDG,
und das Matt kommt von allein!" Mit derartigen Aussagen bereitete er seinem Gambit
beträchtlichen Schaden, denn hochkarätige Schachspieler, die er auch für sein
System gewinnen wollte, ließen sich damit nicht überzeugen. Seit seinem Tod im Jahre 1990
trat eine spürbare Ruhe ein. Es lag aber nicht an den immer stärker aufkommenden
Computer-Programmen, sondern ganz einfach daran, daß im europäischen Raum kein
engagierter Verfechter in die Fußstapfen von Diemer treten wollte! Und ich selbst,
jahrzehntelanger Weggefährte von Diemer, hoffe immer noch auf Vertreter aus einer jüngeren
Generation, die sich ernsthaft, wirklich objektiv und dauerhaft mit dem BDG auseinandersetzen.
Lediglich in den USA versucht Tom Purser mit seiner BDG World das BDG in der
Erinnerung der Schachspieler zu halten. Und die Rochade Europa gehört zu den
wenigen Schachzeitschriften, die sich öfters mit einer BDG-Partie befassen.
Im kleinen Kreise finden sich alle Jahre wieder ein paar Getreue in Fußbach bei Gengenbach
ein, um in einem von Volker Drüke, Ludwigshafen, organisierten Schnellturnier (30 min.) des
Altmeisters Diemer zu gedenken. Nach 5 Runden lautete im Jahre 2002 der Endstand:
Helmut Kaufmann (Emmendingen)
Anton Slager (Randbauer Bremen)
Heiko Adler (Emmendingen)
Benjamin Dobschat (Randbauer Bremen)
Roland Steiert (Umkirch)
Jürgen Tönjies (Bremen-Liliental)
Dietmar Bergen (1887 Freiburg)
Roland Laubis (Randbauer Bremen)
Friedrich Schmidt (Schutterwald)
Georg Studier (1887 Freiburg)
Michael Smirnow (1887 Freiburg)
Ewald Hermann (Schutterwald)
4,0
4,0
3,5
3,0
3,0
3,0
2,5
2,0
2,0
2,0
0,5
0,5
Aus diesem Turnier betrachten wir eine Partie mit einer Eröffnung, die Diemer, Stapelfeldt
und ich mit Gunderam in den 80er Jahren ausführlich untersucht hatten.
Weiß: Georg Studier Schwarz: Helmut Kaufmann
Diemer-Gedächtnisturnier in Fußbach am 15.06.2002
1. d4 d5 2. e4 dxe4 3. Sc3 Sf6 4. f3
Die Themavorgabe.
4... exf3
An Stelle des Gewinns eines Bauern gab der simultan spielende Großmeister W. Kramnik
(ELO 2807), der heute in der Weltrangliste an 2. Stelle steht, mit Schwarz gegen Ralph Buss
(ELO 2194) in Zürich am 5.9.1999, diesen sofort wieder zurück, und zwar mit 4... e3.
Nach 5. Lxe3 e6 6. Ld3 Sbd7 7. Sge2 c5 8. O-O Le7 9. Lf2 O-O 10. Se4 b6 11. c3 Lb7 usw. endete
die Partie im 47. Zug mit einem Remis. Hier erstaunt nun die Tatsache, daß anscheinend
in den Großmeisterkreisen das BDG so wenig Beachtung findet, indem man lieber auf seine
weitaus höhere ELO-Zahl setzt und auf den Gewinn des Bauern mit seinen möglichen Folgen
verzichtet.
Und nebenbei: Außer 4... e3 gibt es jetzt und zuvor verschiedene Möglichkeiten der
Ablehnung, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen.
Großmeister M. Wahls behandelt in seinem Modernes Skandinavisch das BDG und
empfiehlt, nach 1. e4 d5 2. d4 dxe4 3. Sc3 Sf6 4. f3 Lf5 zu spielen mit Angabe von etlichen Abspielen.
Einen Beitrag lieferte ich dazu in Kaissiber, Oktober-Dezember 1998, Nr. 4, und meldete
mit verschiedenen Varianten Bedenken an. Nun hat in dankenswerter Weise der "Bund deutscher
Fernschachfreunde" mit einem Thematurnier, an dem mein Schachfreund Klaus Dietrich (1887
Freiburg) teilnimmt, diese Stellung vorgegeben. Nach Erreichen des Mittelspiels zeigt sich in seinen
Partien, daß Weiß - trotz wohl überall eingesetzter Computer - ohne weiteres
sein Spiel betreiben kann und meine zu 4... Lf5 angebrachten Bedenken zu Recht bestehen. Klaus
Dietrich will nach Beendigung des Turniers hierüber berichten.
Bestimmt würden es die Freunde des BDG begrüßen, wenn zur Vertiefung der Theorie weitere
Thematurniere durch den "Bund deutscher Fernschachfreunde" folgen würden - z.B. mit
der Vorgabe 4. f3 exf3 5. Sxf3 Lg4 und später andere.
5. Sxf3 Lf5
Dieser Aufbau führt zu den Fortsetzungen, die am schwierigsten zu behandeln sind. Meines
Erachtens gibt es mit 5... g6 eine gute Antwort, auch wenn wenige Stimmen sich dieser Ansicht
nicht anschließen. Aber auch die Züge wie 5...e6 / 5... Lg4 / 5... c5 / 5... Sc6 /
5... c6 muß Weiß erst bewältigen.
6. Se5 e6 7. g4 Lg6
In Erwägung ist auch 7... Se4 zu ziehen, worauf ich in den 80er Jahren 8. Lb5+ ins Spiel
brachte, um nach 8... c6 9. O-O aktiv vorgehen zu können. Hier konterte der junge Heiko Adler
(Emmendingen) mit 9... Ld6!, um selbst mit einem Angriff aufzuwarten. Wenn dies nicht mit 10. Df3
oder anderen Zügen entkräftet werden kann, dann muß man wieder auf 8... gxf5
zurückgreifen. Denn auch Großmeister L. Evans hält das schwarze Figurenopfer nicht
für ausreichend.
8. Df3 c6 9. g5 Sfd7
Im gleichen Turnier kam es in der Partie Dietmar Bergen - Michael Smirnow zu einer ähnlichen Stellung
nach 5. Sxf3 Lg4 6. h3 Lf5 7. g4 Lg6 8. Se5 e6 9. Df3 c6 10. g5, worauf 10... Sd5 folgte. 11. Sxg6
(Das eilte nicht und wäre durch 11. Ld3 zu ersetzen) 11... hxg6 12. Ld3 Sxc3 13. bxc3 Sd7
(Mit 13... Dd5 könnte Schwarz sich Erleicherung verschaffen) 14. O-O (Weiß gewann bald
mit Hilfe des Gegners).
10. Sxg6 hxg6 11. Ld3 Lb4
In den zuvor angesprochenen Untersuchungen mit Gunderam wurde dieser Zug nicht in Erwägung
gezogen - sondern 11... Le7. Aber auch darauf läßt sich das weiße Spiel betreiben!
Und in meiner BDG-Datenbank befinden sich nur vier Partien mit der Stellung 11... Lb4, in der Weiß
gute Angriffschancen besaß.
12. O-O De7 13. Se4 O-O 14. h4
Meines Erachtens besteht auch hiermit eine gute Möglichkeit, um über h5 und der geöffneten
h-Linie dem schwarzen König näher zu treten.
Das Läuferopfer ist vollkommen korrekt. Nur hätte Weiß hier in Zeitnot den richtigen
Weg finden - und nicht durch Zeitüberschreitung verlieren müssen. Die spektakulärste
Fortsetzung dürfte in 22. Dh3 Db6+ 23. Kg2 Dxg6 24. Th1 f5 25. Sf6+ Kf7 26. De3 zu suchen sein.
Zum Schluß sollten wir festhalten: Das Blackmar-Diemer-Gambit ist durch jüngste theoretische
Untersuchungen nicht widerlegt und läßt sich auch im Fernschach trotz Einsatz von
Schachcomputern durchaus spielen. Und für uns ehemaligen Mitstreiter von Diemer ist es erfreulich
zu vernehmen, daß junge Schachspieler mit ELO um 2200 das BDG gelegentlich in ihr Eröffnungsprogramm
einstreuen.
Georg Studier
(Orthographie und Formatierung angepaßt, fehlerhafte Partienzitate korrigiert,
Foto und Diagramm beigefügt, Stilistik entspricht der Quelle - Anm. d. A.)
Ergänzungen d. A.:
Tom Purser hatte die Herausgabe seiner "BDG World" mit Ende der 90er Jahre eingestellt;
auch seine BDG-Webpräsentation wurde seit dem Jahr 2001 nicht mehr aktualisiert.
Studiers Quellenbezug ist oberflächlich: sein o.g. BDG-Beitrag erschien nicht im "Kaissiber" Nr. 4, sondern in der Ausgabe Nr. 8 (das ist Heft 4 in 1998).