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Das Blackmar-Diemer-Gambit am Scheideweg?

... eine Glosse von Georg Studier

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Die Frage bedarf einer Ergänzung dahingehend, ob das Blackmar-Diemer-Gambit (BDG) durch neueste Erkenntnisse widerlegt oder im Zeitalter der Schachprogramme überhaupt noch spielbar ist. Bei diesen "Monstern" sollte der Gambitgeber z.B. im Fernschach eigentlich auf unüberwindbaren Widerstand stoßen - auch wenn er selbst sich dieser Programme, die heute ein großmeisterliches Leistungsvermögen besitzen, bedient. Wir werden im weiteren Verlauf darauf zurückkommen.

E.J. Diemer setzte sich in seiner unnachahmlichen Art für den Nachweis der Spielbarkeit des BDG ein und überzog natürlich, wenn er optimistisch verkündete: "Spiele BDG, und das Matt kommt von allein!" Mit derartigen Aussagen bereitete er seinem Gambit beträchtlichen Schaden, denn hochkarätige Schachspieler, die er auch für sein System gewinnen wollte, ließen sich damit nicht überzeugen. Seit seinem Tod im Jahre 1990 trat eine spürbare Ruhe ein. Es lag aber nicht an den immer stärker aufkommenden Computer-Programmen, sondern ganz einfach daran, daß im europäischen Raum kein engagierter Verfechter in die Fußstapfen von Diemer treten wollte! Und ich selbst, jahrzehntelanger Weggefährte von Diemer, hoffe immer noch auf Vertreter aus einer jüngeren Generation, die sich ernsthaft, wirklich objektiv und dauerhaft mit dem BDG auseinandersetzen.

[Georg Studier]

Lediglich in den USA versucht Tom Purser mit seiner BDG World das BDG in der Erinnerung der Schachspieler zu halten. Und die Rochade Europa gehört zu den wenigen Schachzeitschriften, die sich öfters mit einer BDG-Partie befassen.
Im kleinen Kreise finden sich alle Jahre wieder ein paar Getreue in Fußbach bei Gengenbach ein, um in einem von Volker Drüke, Ludwigshafen, organisierten Schnellturnier (30 min.) des Altmeisters Diemer zu gedenken. Nach 5 Runden lautete im Jahre 2002 der Endstand:

Helmut Kaufmann (Emmendingen)
Anton Slager (Randbauer Bremen)
Heiko Adler (Emmendingen)
Benjamin Dobschat (Randbauer Bremen)
Roland Steiert (Umkirch)
Jürgen Tönjies (Bremen-Liliental)
Dietmar Bergen (1887 Freiburg)
Roland Laubis (Randbauer Bremen)
Friedrich Schmidt (Schutterwald)
Georg Studier (1887 Freiburg)
Michael Smirnow (1887 Freiburg)
Ewald Hermann (Schutterwald)

4,0
4,0
3,5
3,0
3,0
3,0
2,5
2,0
2,0
2,0
0,5
0,5

Aus diesem Turnier betrachten wir eine Partie mit einer Eröffnung, die Diemer, Stapelfeldt und ich mit Gunderam in den 80er Jahren ausführlich untersucht hatten.


Weiß: Georg Studier        Schwarz: Helmut Kaufmann
Diemer-Gedächtnisturnier in Fußbach am 15.06.2002

      1. d4 d5 2. e4 dxe4 3. Sc3 Sf6 4. f3

Die Themavorgabe.

      4... exf3

An Stelle des Gewinns eines Bauern gab der simultan spielende Großmeister W. Kramnik (ELO 2807), der heute in der Weltrangliste an 2. Stelle steht, mit Schwarz gegen Ralph Buss (ELO 2194) in Zürich am 5.9.1999, diesen sofort wieder zurück, und zwar mit 4... e3. Nach 5. Lxe3 e6 6. Ld3 Sbd7 7. Sge2 c5 8. O-O Le7
9. Lf2 O-O 10. Se4 b6 11. c3 Lb7 usw. endete die Partie im 47. Zug mit einem Remis. Hier erstaunt nun die Tatsache, daß anscheinend in den Großmeisterkreisen das BDG so wenig Beachtung findet, indem man lieber auf seine weitaus höhere ELO-Zahl setzt und auf den Gewinn des Bauern mit seinen möglichen Folgen verzichtet.
Und nebenbei: Außer 4... e3 gibt es jetzt und zuvor verschiedene Möglichkeiten der Ablehnung, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen.
Großmeister M. Wahls behandelt in seinem Modernes Skandinavisch das BDG und empfiehlt, nach 1. e4 d5 2. d4 dxe4 3. Sc3 Sf6 4. f3 Lf5 zu spielen mit Angabe von etlichen Abspielen. Einen Beitrag lieferte ich dazu in Kaissiber, Oktober-Dezember 1998, Nr. 4, und meldete mit verschiedenen Varianten Bedenken an. Nun hat in dankenswerter Weise der "Bund deutscher Fernschachfreunde" mit einem Thematurnier, an dem mein Schachfreund Klaus Dietrich (1887 Freiburg) teilnimmt, diese Stellung vorgegeben. Nach Erreichen des Mittelspiels zeigt sich in seinen Partien, daß Weiß - trotz wohl überall eingesetzter Computer - ohne weiteres sein Spiel betreiben kann und meine zu 4... Lf5 angebrachten Bedenken zu Recht bestehen. Klaus Dietrich will nach Beendigung des Turniers hierüber berichten.
Bestimmt würden es die Freunde des BDG begrüßen, wenn zur Vertiefung der Theorie weitere Thematurniere durch den "Bund deutscher Fernschachfreunde" folgen würden - z.B. mit der Vorgabe 4. f3 exf3 5. Sxf3 Lg4 und später andere.

      5. Sxf3 Lf5

Dieser Aufbau führt zu den Fortsetzungen, die am schwierigsten zu behandeln sind. Meines Erachtens gibt es mit 5... g6 eine gute Antwort, auch wenn wenige Stimmen sich dieser Ansicht nicht anschließen. Aber auch die Züge wie 5...e6 / 5... Lg4 / 5... c5 / 5... Sc6 / 5... c6 muß Weiß erst bewältigen.

      6. Se5 e6 7. g4 Lg6

In Erwägung ist auch 7... Se4 zu ziehen, worauf ich in den 80er Jahren 8. Lb5+ ins Spiel brachte, um nach 8... c6 9. O-O aktiv vorgehen zu können. Hier konterte der junge Heiko Adler (Emmendingen) mit 9... Ld6!, um selbst mit einem Angriff aufzuwarten. Wenn dies nicht mit 10. Df3 oder anderen Zügen entkräftet werden kann, dann muß man wieder auf 8... gxf5 zurückgreifen. Denn auch Großmeister L. Evans hält das schwarze Figurenopfer nicht für ausreichend.

      8. Df3 c6 9. g5 Sfd7

Im gleichen Turnier kam es in der Partie Dietmar Bergen - Michael Smirnow zu einer ähnlichen Stellung nach 5. Sxf3 Lg4 6. h3 Lf5 7. g4 Lg6 8. Se5 e6 9. Df3 c6 10. g5, worauf 10... Sd5 folgte. 11. Sxg6 (Das eilte nicht und wäre durch 11. Ld3 zu ersetzen) 11... hxg6 12. Ld3 Sxc3 13. bxc3 Sd7 (Mit 13... Dd5 könnte Schwarz sich Erleicherung verschaffen) 14. O-O (Weiß gewann bald mit Hilfe des Gegners).

      10. Sxg6 hxg6 11. Ld3 Lb4

In den zuvor angesprochenen Untersuchungen mit Gunderam wurde dieser Zug nicht in Erwägung gezogen - sondern 11... Le7. Aber auch darauf läßt sich das weiße Spiel betreiben! Und in meiner BDG-Datenbank befinden sich nur vier Partien mit der Stellung 11... Lb4, in der Weiß gute Angriffschancen besaß.

      12. O-O De7 13. Se4 O-O 14. h4

Meines Erachtens besteht auch hiermit eine gute Möglichkeit, um über h5 und der geöffneten h-Linie dem schwarzen König näher zu treten.

      14... c5 15. c3 La5 16. Lf4 e5 17. dxe5 Sxe5 18. Lxe5 Dxe5 19. Tae1 Dc7 20. h5 c4 21. hxg6! cxd3

-------------------
|rn-+-rk+|
|ppq-+Pp-|
|-+-+-+P+|
|b-+-+-P-|
|-+-+N+-+|
|+-Pp+Q+-|
|PP-+-+-+|
|+-+-RRK-|
-------------------

Das Läuferopfer ist vollkommen korrekt. Nur hätte Weiß hier in Zeitnot den richtigen Weg finden - und nicht durch Zeitüberschreitung verlieren müssen. Die spektakulärste Fortsetzung dürfte in 22. Dh3 Db6+ 23. Kg2 Dxg6 24. Th1 f5 25. Sf6+ Kf7 26. De3 zu suchen sein.

Zum Schluß sollten wir festhalten: Das Blackmar-Diemer-Gambit ist durch jüngste theoretische Untersuchungen nicht widerlegt und läßt sich auch im Fernschach trotz Einsatz von Schachcomputern durchaus spielen. Und für uns ehemaligen Mitstreiter von Diemer ist es erfreulich zu vernehmen, daß junge Schachspieler mit ELO um 2200 das BDG gelegentlich in ihr Eröffnungsprogramm einstreuen.


Georg Studier


(Orthographie und Formatierung angepaßt, fehlerhafte Partienzitate korrigiert, Foto und Diagramm beigefügt, Stilistik entspricht der Quelle - Anm. d. A.)

Ergänzungen d. A.:

  1. Tom Purser hatte die Herausgabe seiner "BDG World" mit Ende der 90er Jahre eingestellt; auch seine BDG-Webpräsentation wurde seit dem Jahr 2001 nicht mehr aktualisiert.
  2. Studiers Quellenbezug ist oberflächlich: sein o.g. BDG-Beitrag erschien nicht im "Kaissiber" Nr. 4, sondern in der Ausgabe Nr. 8 (das ist Heft 4 in 1998).

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