Spätherbst 1975... sicherlich lausiges Wetter, und die Stimmung gaaanz tief am Boden: Ich hatte
meine Einberufung in Händen... und auf dem Tisch die Ausschreibungsunterlagen für das
5. DDR-Fernschach-Pokalturnier - mein erstes Fernturnier überhaupt (Start 01.11.75, 726 Spieler
in 66 Vorrundengruppen)!
Paßt doch wie die Faust auf's Auge... ich meine die Wahnsinnsidee, Einberufung zum Bund
und das erste Fernschachturnier zusammenzulegen - von nix richtige Ahnung!
Also, den ersten Antwortzug von einem meiner Gegner erhielt ich an einem 24. Oktober, der
Gestellungsbefehl lautete auf den 4. November - gerade Zeit genug, um nach dem ersten
ausgetauschten Zug schon eine Anschriftsänderung mitzuteilen... und mich noch vor den
Kasernenmauern auf mein erstes BDG in einem Turnier festzulegen...
Ich erinnere mich gut: im Winterhalbjahr... tief im Erzgebirge, nicht nur einmal Schnee bis zu
den Hüften..., der Mannschaftsraum mit vier Doppelstockbetten, acht Spinden und einem
winzigen Tisch, der Spind in preußischer Ordnung..., vom Aufstehen bis zur Nachtruhe ein
ausgeplanter Tagesablauf "per Pfiff"...
Bitte? Wie jemand unter diesen Umständen auch noch Fernschach spielen kann?
Tja, das frage ich mich heute auch...
Was soll ich sagen... es dauerte nur unwesentlich länger als meine Grundausbildung - am
19. Januar '76 war alles schon wieder vorüber. Nein, nicht mein Wehrdienst, das Leiden war
noch längst nicht abzusehen, ich meine doch meine BDG-Fernpartie.
Das muß man sich mal richtig vorstellen: Ich spiele mein erstes Fernturnier, und dann
auch noch mein erstes BDG unter Wettkampfbedingungen?! Aber Caissa war mir hold:
ich habe dieses Partiechen auf "klassischen Pfaden" abgespult!!
Hier nun dieser Erstling, nach "tiefem Tauchen" wieder ausgegraben:
Der Diemersche Zug. Mit dieser Riposte wollte ich unbedingt 2... d5 provozieren - mein Gegner
wurde unvermittels aus allen Nimzo-, Königs-, Grünfeld-Indischen Träumen gerissen...
2... d5 3. e4 dxe4 4. Sc3 exf3
5. Dxf3 ...
... das Doppelbauerngambit, auch als Ryder-Gambit bekannt.
Meine BDG-Kenntnisse stützten sich damals allein auf Bruno Rügers Schach-Fibel...
5. ... Dxd4
... das Doppelbauernopfer angenommen - gut spielbar und damals unbedingt in meinem Sinne - vgl.
nebenstehendes Diagramm!
6. Le3 Db4
... auch noch spielbar, obwohl z.B. 2... Dg4 mit der Folge 3.Df2 Db4 vorzuziehen ist.
7. O-O-O ... ...
natürlich eine Provokation, wohl ein wenig naiv und mit viel Hoffnung gespielt...
7. ... Lg4? ...
und angebissen - ein fataler Fehler! Es war wohl doch zu verlockend... vgl. rechtes Diagramm.
Schwarz könnte eine Qualität gewinnen, mit den beiden Mehrbauern wäre dies bereits
spielentscheidend - aber...
8. Sb5!! ...
Der Donnerschlag - droht unmittelbar Matt, und
zugleich ein das Spiel entscheidender
Sperrzug! Urplötzlich hat sich die Situation ins Gegenteil verkehrt... Welche Optionen
hätte Schwarz noch? Keine!
Der Partieverlauf ist sozusagen ein Klassiker, diese Partie hat ganz gewiß mehrere
Vorläufer und Nachfolger, wie z.B. Deuster
oder Gedult, und auch Diemer-Partien aus 1934 und
1950 - aber das ist schon wieder eine andere Geschichte...
Ich habe bisher nur die Notation meiner Partie aufgefunden, leider keine Kommentierungen mehr...
Aber die alten Fernschach-Postkarten existieren noch, schlummern irgendwo - ich müßte
nur noch mal "noch tiefer tauchen"...